Grundbegriffe und Bedingungsfaktoren für planvolle Schritte zur Schulentwicklung
Schaut man auf die aktuelle Diskussion um Schulqualität, so springt der Entwicklungsbedarf in fünf Bereichen besonders ins Auge:
- Die Pisa-Studie zeigt, dass die Qualität der Bildungsergebnisse im Pflichtschulbereich in Deutschland besser werden muss. Statt der Vermittlung von Fachwissen auf Vorrat muss als Vorbereitung auf lebenslanges Lernen stärker das Lernen gelernt werden. Die Lernarbeit muss als selbst organisiertes Lernen gefördert werden.
- Die Ereignisse in Erfurt, Meißen oder Hildesheim verweisen auf Grundprobleme der Erziehungsqualität. Hier zeigt sich ein drastischer Mangel an Selbstkompetenz bzw. Sozialkompetenz, der durch kooperatives Lernen gemildert werden könnte.
- Die Schulqualität insgesamt muss verbessert werden. Aus der „Lehranstalt" solle eine lernende Organisation werden. Denn Lehrer / innen wie Schüler / innen werden nur in dem Maße mit ihrer Lernarbeit experimentieren, in dem die Schule solche Bemühungen kritisch interessiert begleitet.
- Die Qualität der Lehrerbildung wird schon seit langer Zeit (Müller-Fohrbrodt u. a. 1978) als praxisfern bemängelt. Wie sonst ließen sich u. a. die o.g. Mängel erklären? Professionalisierung durch Konzentration auf Standards und Kernkompetenzen sowie die Vorbereitung auf lebenslanges Lernen sind hier erforderlich.
- Auch die Qualität der Lehrergesundheit ist verbesserungsbedürftig, wie einschlägige aktuelle Analysen (vgl. Hillert; Schmitz 2004 und Schaarschmidt 2004) zeigen.
Vermutlich bestehen zwischen diesen fünf Problembereichen (dys-)funktionale Wechselwirkungen. Der Titel meines Beitrages legt nun nahe, dass man über die Förderung der Lehrergesundheit positive Effekte in mindestens einigen der übrigen Problembereiche erzeugen kann. Stimmt das oder könnte die Wirkrichtung auch eine andere sein?
Wie kann der Reformbedürftigkeit in den zentralen Punkten Rechnung getragen werden? Wer kann und sollte an welcher Stelle damit beginnen? Wie lässt sich der notwendige Wandel gestalten und was hindert uns an nachhaltigen Schritten?
Im 3. Kapitel gehe ich auf diese Fragen ein.
Change Management bezieht sich auf planvolles Handeln in einer Organisation mit dem Ziel, kontinuierliche Verbesserungen von Strukturen und Prozessen in der gesamten Organisation und unter aktiver Beteiligung der in ihr arbeitenden Führungskräfte und Mitarbeiter / innen zu erreichen. Dabei spielen die Änderungsfähigkeit und Änderungsbereitschaft der Organisation und ihrer Mitglieder mit Blick auf Probleme, Chancen und Risiken eine zentrale Rolle.
In der Organisationsentwicklung spricht man mit Blick auf die Akteure des notwendigen Wandels von „Change-Agents". Im engeren Sinne sind damit interne und externe Berater/innen gemeint, die die Organisation bei einem Wandlungsprozess unterstützen. Ihr Handeln wird bestimmt von spezifischen Änderungszielen und Theorien über Erfolg versprechende Wandlungsprozesse. Aber die formellen Change-Agents sind nicht die einzigen Steuerleute in diesem Prozess. Sie stehen in Auseinandersetzung mit den informellen Change-Agents. Das sind alle Mitglieder der Organisation, die in irgendeiner Weise an den Veränderungsprozessen beteiligt oder davon betroffen sind und deshalb auf Veränderungen unterstützend, ignorierend, bremsend oder gegenläufig reagieren. Diese vom Wandel betroffenen Personen werden zwangsläufig zu Beteiligten. Ihr Einfluss auf die Richtung und Geschwindigkeit des Wandels kann den der offiziellen Change-Agents sogar dominieren, wie nicht nur die Montagsdemonstrationen von 1989 beweisen.
Alle Organisationsmitglieder müssen darüber hinaus aber auch einen breiten Rollenhaushalt außerhalb der Organisation bedienen. So kann es sein, dass sie in anderen Rollen einen viel größeren Entwicklungsbedarf spüren, sich auf diesen konzentrieren und den organisationsspezifischen Änderungsbedarf eher als ablenkende Störung registrieren, ignorieren oder aktiv abwehren. Hier setzt die Stages-of-Change-Theorie von Prohaska (2000) an. Er macht gezielte Vorschläge zur Klärung und Förderung der bereichsspezifischen Änderungsmotivation aller Organisationsmitglieder, um Widerstände durch unvereinbare Änderungstheorien und Ziele frühzeitig berücksichtigen zu können. Bezogen auf die Lehrkräfte als informelle Change-Agents können vier Leitfragen deren individuelle Zielprioritäten und subjektive Änderungstheorien klären.
- Wie beurteilen Sie derzeit Ihre Gesundheit und Arbeitsqualität (Diagnose)?
- Auf welchem der Gebiete wünschen Sie sich vordringlich welche Veränderungen (Entwicklungsziel)?
- Wer muss womit beginnen, wer oder was behindert den Änderungsprozess (Entwicklungsstrategie)?
- Woran merken Sie, ob Ihre Maßnahmen und Strategien erfolgreich waren (Evaluation)?
Aus den Antworten zu diesen Fragen ergibt sich, wie viele der Befragten überhaupt einen Änderungsbedarf im Bereich ihrer Gesundheit und Arbeitsqualität spüren und welche davon ausgehen, dass Gesundheitsverbesserung zu Qualitätsverbesserung führt oder umgekehrt, dass Qualitätsverbesserung z. B. durch neue Unterrichtsformen die Gesundheit der Lehrkräfte fördert.
Für die Diskussion unter allen Change-Agents einer Schule sind folgende Grundbegriffe der Arbeits- und Organisationspsychologie kurz zu klären:
- Arbeitsqualität soll in diesem Kontext verstanden werden als Beitrag einer Lehrkraft zur Aufgabe der Schule: Unterrichts-, Erziehungs-, Bildungsqualität (für Schüler / innen und Lehrer / innen). Sie ist also letztlich nur mit Blick auf ein Schulprogramm zu definieren.
- Anforderungen beschreiben die in einem Beruf auszuführenden Aufgaben und Tätigkeiten (z. B. Unterrichten als Kernanforderung), Merkmale des Arbeitsplatzes sowie die für eine erfolgreiche und zufriedenstellende Berufsausübung notwendigen Personenmerkmale.
- Belastungen sind ungünstige personale, soziale, organisationale Bedingungen, die die Aufgabenerfüllung erschweren (z. B. Sprachbarrieren in der Klasse).
- Ressourcen sind günstige personale, soziale und organisationale Bedingungen, die die Aufgabenerfüllung erleichtern (z. B. ein gutes Klima im Kollegium).
- Psychische Beanspruchung sind alle subjektiven Reaktionen auf das jeweilige Muster von Anforderungen, Belastungen und Ressourcen. Manche Personen erleben eine gegebene Konstellation als Herausforderung, andere als Überforderung.
- Lehrergesundheit bezieht sich nicht auf physiologisch und psychisch gesunde Personen, die zufällig von Beruf Lehrer / in sind. Lehrergesundheit bezieht sich vielmehr auf Personen, die über berufsrelevante Ressourcen und Leistungsvoraussetzungen (vgl. Abb. 1) so ausreichend verfügen, dass sie unter den gegebenen Anforderungen ausreichend gute Leistungen erbringen, ohne ihre Gesundheit zu gefährden.
- Lehrer / innen, die ausreichende didaktische Fähigkeiten mitbringen, können Unterrichtsanforderungen erfüllen, was auf der Personenseite zu verbesserten Kompetenzen und Selbstwirksamkeitserfahrungen führen kann und so zentrale Elemente der Lehrergesundheit stärkt.
- Lehrer / innen, die Optimismus und Heiterkeit in ausreichender Form mitbringen, können beruflich wie privat Beziehungsaufgaben besser erfüllen und erfahren positives Feedback für ihre seelische Gesundheit.
- Die Berufsanforderungen sind für Lehrkräfte zugleich Gelegenheiten, passende Motive und Interessen zu befriedigen. Die Motivstruktur einzelner Lehrkräfte kann sich nach Breite und Priorität stark unterscheiden. Einige ziehen bevorzugt Befriedigung aus dem Umgang mit Fachinhalten, andere aus dem Umgang mit Beziehungen und wieder andere nach Art eines Trainers eher aus dem Umgang mit Lernerfolgen. Jedes dieser Motive kann sich natürlich im ungünstigen Falle auch frustrierend auswirken. Je einseitiger also die Motivstruktur einer Lehrperson ist, umso geringer sind die Bereiche des erlebbaren Befriedigungspotenzials und das Risiko, im Misslingensfall frustriert zu werden.